Den Kopf frei bekommen, die Gedanken beruhigen und einen Zustand von Klarheit erlangen. Dieses Ziel haben alle Yogastile gemeinsam – die Methoden, das zu erreichen, sind dabei sehr unterschiedlich. Zwar ist beim Ashtanga Yoga die körperliche Bewegung das offensichtliche Mittel, doch arbeitet die Praxis tief unter der Oberfläche des Bewussten. Die Ashtanga Yoga Praxis wird von tiefer, konzentrierter Atmung getragen und kann daher als dynamische Meditation bezeichnet werden.
Die Asana Praxis folgt festen Serien, die in immer gleicher Abfolge geübt und verinnerlicht werden. Der Ablauf bekommt mit der Zeit mehr und mehr Leichtigkeit und einen harmonischen Fluss. Da sich Körper und Geist an keinen zwei Tagen genau gleich anfühlen, führt eine regelmäßige Praxis zu einer klareren Selbstwahrnehmung auf allen Ebenen.
Die Ashtanga Yoga Serien wurden von Pattabhi Jois in Mysore zusammengestellt und werden fast seit einem Jahrhundert in dieser Form praktiziert. Nach seinem Tod übernahm sein Enkel Sharath Jois die Rolle als Halter der Lineage.
1. Serie | Primary Series
Zielt auf die Reinigung des Körpers und den Aufbau einer stabilen Basis ab. Fördert Kraft, Flexibilität und Gesundheit des Verdauungssystems. Sie wirkt therapeutisch und eignet sich besonders für Anfänger. Die wörtliche Übersetzung lautet Yoga Therapie.
2. Serie | Intermediate Series
Fokussiert auf die Reinigung der energetischen Bahnen und Stärkung des Nervensystems. Die Praxis wird körperlich und mental anspruchsvoller, unterstützt emotionale Stabilität und tiefere Blockadenlösung.
3. bis 6. Serie | Advanced Series
Setzt Kraft, Flexibilität und mentale Ausdauer voraus und intensiviert das zuvor Erlernte. Die Serie umfasst komplexe Asanas wie Armbalancen und Umkehrhaltungen und fördert Leichtigkeit in der Bewegung sowie innere Gelassenheit.
Mysore Style bezieht sich namentlich auf den Entstehungsort von Ashtanga Yoga: die Stadt Mysore in Südindien. Die Methode wurde dort vor fast 100 Jahren von Sri K. Pattabhi Jois entwickelt und wird bis heute weltweit in dieser Tradition unterrichtet.
Im Mysore Setting üben alle Schüler:innen das gleiche, allerdings nicht synchron, sondern im individuellen Tempo der eigenen Atmung. Es wird Schritt für Schritt eine persönliche Praxis etabliert, die ruhig beobachtet und ggf. korrigiert bzw. gezielt unterstützt wird.
Zwischen Lehrer/innen und Übenden entsteht dadurch über die Zeit ein persönliches, tiefes Vertrauensverhältnis.
Mysore Style ist kein geführter Frontalunterricht, denn es wird kaum gesprochen. Und wenn doch, dann nur leise mit der entsprechenden Einzelperson. Die Atmosphäre des morgendlichen Unterrichts im Mysore Style ist sehr besonders und friedlich, denn das Atmen der Übenden ist die überwiegende Geräuschkulisse.
Das Typische am Ashtanga Yoga ist, dass wir ganz individuell üben – jede/r für sich und trotzdem gemeinsam. Das Auswendiglernen der Serien hat den Sinn, dass unser Geist über eine lange Zeit fokussiert bleibt. Denn er beschäftigt sich die ganze Praxis hinweg intensiv mit dem Beobachten und der Synchronisation von Atmung, Bewegung und Blickrichtung (tristhāna). Diese Intensität wird in keiner anderen Yogamethode erreicht, weshalb Ashtanga Yoga als besonders transformativ bezeichnet wird. Unser Geist springt nicht herum, er wird von uns zielgerichtet eingesetzt, um ganz bei uns selbst anzukommen.
Auch wenn es oberflächlich den Anschein erwecken mag, ist Ashtanga Yoga kein Workout. Schaut man sich die Definition von Yoga (YS 1.2) und die Beschreibung von Asana (YS 2.46) im Yogasūtra genau an, wird schnell klar, dass sich Yoga immer um eine Form von Ruhe bzw. Balance zwischen Kraft oder Stabilität (stira) auf der einen Seite und Leichtigkeit oder Lieblichkeit (sukha) auf der anderen Seite dreht.
Die Begriffe Yin und Yang Yoga sind daher eigentlich zu einseitig, genau wie die Einteilung in männliches und weibliches Yoga. Denn Yoga ist es per Definition nur, wenn wir beide Aspekte miteinander verbinden. Denn das Ergebnis soll ein Zustand von innerer Balance und wacher Ruhe sein – einem klaren Bewusstsein. Ashtanga Yoga ist also eher ein Work-in.
Wer mal in Mysore war oder bei autorisierten Leher:innen geübt hat, weiß dass der häufig gebrauchte Begriff Shavāsana falsch ist. Stattdessen wird zum Abschluss meist etwas gesagt wie „Lay down, take rest“ oder Sukhāsana.
Shavāsana (Leichenhaltung) gibt es zwar tatsächlich, ist aber etwas vollkommen Anderes. Es ist die vollständige Kontrolle aller Körperfunktionen und das zeitweilige Abschalten dieser. Also das simulieren des Todes. Keine Atmung, kein messbarer Puls, nichts.
Krishnamacharya, der Lehrer von Pattabhi Jois war als einziger bekannter Mensch in der Lage, diesen Zustand kontrolliert herbeizuführen.
Wenn du dich also in Zukunft nach dem Yoga zur Entspannung hinlegst, genieße dein Sukhāsana.
Ashtanga Yoga ist nicht nur Asana Praxis, sondern weitaus mehr: es ist gelebte Yogaphilosophie. Hier habe ich einen Überblick über die wichtigsten Aspekte und Vorzüge von Ashtanga Yoga zusammengestellt, um dir ein möglichst vollständiges Bild zu vermitteln: